Wie der Coronavirus unsere Reise zerstörte
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Wie der Coronavirus unseren Reisetraum zerstörte

5. März 2020, Genf, Schweiz.

Wir haben extra einen Zug früher von Zürich genommen, damit wir in Genf genügend Zeit zum Umsteigen haben. Nun rennen wir trotzdem im Schweinsgalopp übers Perron und erwischen den Regionalzug nach Lyon kurz vor knapp. Weil wir noch ein Glacé essen mussten und in der Bahnhofshalle rumgeblödelt haben.

Vor uns liegen drei Monate Reisen. Zu viert, mit zwei kleinen Kindern im Schlepptau. Wir sind nervös, aber voller Vorfreude.

Früher an diesem Tag, Zürich, Schweiz.

Wir ziehen die Wohnungstür hinter uns zu. Die drei Zimmer sind picobello aufgeräumt und bereit für unsere Untermieter.

Wir fahren zum Hauptbahnhof, decken uns mit Proviant ein und stürzen uns ins Abenteuer.

Eine kleine Stimme im Hinterkopf fragt: Sind wir verantwortungslos? Rücksichtslos? Was, wenn Corona doch gefährlicher ist als gedacht? Was, wenn wir irgendwo stranden und in Quarantäne müssen?

Das Krachen der Chips in unseren Mündern bringt die Stimmen zum Schweigen.

Die Schweiz verzeichnet etwa 30 Corona-Fälle. In Frankreich sind es rund 100, in Spanien gut 80.

16. März 2020, Sevilla, Spanien.

Wir sitzen im Flieger nach Zürich. Hinter mir hustet jemand, vor mir hustet jemand. Fuck, fuck, fuck. Ich ziehe mir eine Schutzmaske übers Gesicht, wohl wissend, dass diese eigentlich für Infizierte und medizinisches Personal reserviert wäre. Hallo Globi, sagt meine Tochter.

Das Atmen fällt mir schwer mit dem Teil und mein Sandwich kann ich damit auch nicht essen. Fuck, fuck, fuck.

6. März 2020, Lyon, Frankreich.

Wir verlassen die Metro und desinfizieren uns erst einmal die Hände. Vor uns liegt die Place Bellecour, im Hintergrund ragt die Notre Dame de Fourvière in den Himmel.

Unser Sohn bricht weinend zusammen, weil er sein Trottinett nicht dabei hat, seine Schwester aber schon. Dass er vor einer halben Stunde darauf beharrt hat, er wolle lieber laufen als Trotti fahren, interessiert ihn jetzt nicht mehr.

Tief durchatmen und weitermarschieren. Wir wollen noch die Altstadt anschauen und Hunger habe ich auch schon wieder. Lyon wird als kulinarische Hauptstadt Frankreichs bezeichnet.

7. März 2020, Perpignan, Frankreich.

Es ist kurz nach 18 Uhr, die Abendsonne taucht die kleine Stadt in ein goldenes Licht. Die Strasse vom Bahnhof zum Hotel ist mit Palmen gesäumt, die Häuser abwechslungsweise opulent und komplett heruntergekommen.

Perpignan ist eine der ärmsten Städte Frankreichs, ein Drittel der Bevölkerung lebt am Existenzminimum.

Davon merken wir in unserem Hotel nichts. Das Zimmer ist modern und stylisch, wenn auch arg klein für vier Personen. Tant pis, wir werden den Tag sowieso draussen verbringen. Der Wetterbericht für den kommenden Tag ist hervorragend.

Le Monde, El Pais und der Tages Anzeiger informieren uns darüber, dass die Corona-Fälle in Europa steigen.

8. März 2020, Perpignan, Frankreich.

Wir schlendern von der Place Arago durch schmale Gassen zur Place de la République. Ich fotografiere jeden Balkon, den Platz aus allen Winkeln, die Kinder auf ihren Trottinetts, das Karussell, die Marktstände. Wir laufen am Castillet vorbei, machen mit einem Glacé in der Hand Pause und landen irgendwann wieder auf der Place Arago.

Rosé, Salade Méditerranée, Linguini mit Meeresfrüchten im Restaurant. What a day! So fühlen sich Ferien an.

In Italien herrscht Ausnahmezustand, das Land wird abgeriegelt.

9. März 2020, Madrid, Spanien.

Unsere Unterkunft ist perfekt, die Strassen rund ums Haus lebendig. Die Menschen sitzen draussen und geniessen die Frühlingssonne.

Madrid verzeichnet einige Hundert Corona-Fälle und wir beschliessen, auf den ÖV zu verzichten. Die Sehenswürdigkeiten der Stadt werden wir nicht sehen, dafür erkunden wir unser Quartier und die dortigen Spielplätze eingehend.

10. März 2020, Madrid, Spanien.

Darf man noch reisen?, frage ich den Mann am Schalter. Im Moment noch ja, antwortet er und zuckt ratlos mit den Schultern. Wir kaufen Tickets nach Sevilla. Dort gibt es nicht mehr als eine Handvoll Corona-Fälle und unser Apartment haben wir bereits im Januar gebucht.

11. und 12. März 2020, Sevilla, Spanien.

Endlich sind wir da. Drei Wochen werden wir in Sevilla bleiben. Ich werde arbeiten, unseren Reiseblog bewirtschaften und dazwischen mit Lukas und den Kindern diese wunderschöne Stadt erkunden.

Vorsichtshalber decken wir uns im Corte Inglés mit Lebensmitteln für zwei Wochen ein und starten mit einer ersten Besichtigung der Gegend.

13. März 2020, Sevilla, Spanien.

Unser Sohn hustet und hat 39 Grad Fieber. Wir versuchen, die spanische Corona-Hotline zu erreichen. Keine Chance. In Absprache mit dem BAG bleiben wir drinnen, bis unser Sohn wieder gesund ist. Zum Glück geht es schnell vorbei.

Später am Tag verhängt die spanische Regierung den «Estado de Alarma». Morgen wird sie entscheiden, welche Massnahmen ergriffen werden. Die Presse spricht schon heute von einer Ausgangssperre.

Wir buchen einen Flug nach Zürich.

14. März 2020, Sevilla, Spanien.

Ich laufe alleine über die Alameda de Hercules, vorbei an reich geschmückten Häusern und zig kleinen Restaurants. Tapas, Sushi, Mexikanisch.

Ich setze mich auf eine Bank und breche in Tränen aus.

15. März 2020, Sevilla, Spanien.

Die Sonne strahlt vom Himmel, aber die Alameda ist menschenleer. Zwar tritt die Ausgangssperre erst morgen in Kraft, die Spanier verschanzen sich aber schon jetzt in den Häusern.

Ich steige aus dem Mietauto und werfe die Abfallsäcke in die Container. Glas, PET, Karton. Recycling muss auch in schwierigen Zeiten sein.

Dann fahren wir raus zum Flughafen-Hotel.

19. März 2020, Eschenz, Schweiz.

Wir feiern den zweiten Geburtstag unserer Tochter und grillieren Cervelats im Wald. Bis wir eine freie Grillstelle finden, dauert es ein bisschen, überall sitzt schon jemand. Social Distancing im Praxistest.

In der Schweiz gibt es gut 3000 Corona-Fälle, in Spanien sind es über 15’000.

Wir sind froh, in der Schweiz zu sein und dankbar, dass wir in der Zweitwohnung von Lukas Tante wohnen dürfen.

30. September 2013, Dalaman, Türkei.

Das war eine geile Zeit. Lukas und ich stehen am Gate, in einer halben Stunde geht unser Flieger nach Zürich. Wir freuen uns auf unsere Familien, auf Cervelats und Rivella.

Hinter uns liegen sieben Monate Weltreise. Wir besuchten den Uluru, den Gran Canyon, schwammen an Traumstränden, wanderten durch den Regenwald und bestaunten die Skylines von Chicago, Singapur und Sydney.

Das müssen wir unbedingt wiederholen. Lukas verstaut sein Handgepäck.

Aber wir wollen doch Kinder? Das Anschnallzeichen leuchtet auf.

Die kommen halt einfach mit. Wir heben ab.

Abgemacht? Abgemacht!

5 Kommentare zu “Wie der Coronavirus unseren Reisetraum zerstörte

  1. Oje, kann euren Frust gut nachfühlen. Da habt ihr definitiv den falschen Zeitpunkt erwischt. Oh mann, ich wäre wohl durchgedreht wenn dann noch das Kind in solch einer Situation krank wird!
    Aber die Reise ist ja aufgeschoben nicht aufgehoben. Ihr findet sicher wieder Zeit dafür…

    Gniesst eure freie Zeit in der Schweiz und bleibt gesund.

    Gruss von zu Hause 😉

    • Heiii, schön von dir zu hören. Ja, voll gemein, aber da kann man echt nix machen.

      Dass der Kleine noch krank wurde, war übel und glaub mir: Wir waren alles andere entspannt 🙂

      Nun geniessen wir die Familienauszeit halt ein wenig anders – Plan B trat in Kraft.

      Bleibt gesund!

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